Brain Drain

„Der Zuzug nach Wien kann für manch andere Region zum Problem werden. Viele Studenten kehren nie zurück – es kommt zum innerösterreichischen Brain-Drain, also der 'Abwanderung von Intelligenz'. Erneut am stärksten betroffen: Vorarlberg und Burgenland. Mehr als ein Drittel der Studenten will nicht mehr nach Hause zurück.“ (Die Presse, 14.6.2010) Damit ist ein Zustand beschrieben, mit dem eine Randregion wie Vorarlberg, ein Land ohne Universität und internationale Forschungseinrichtungen, mit nur wenigen überregional bedeutsamen Kultureinrichtungen und Auftraggebern sowie ohne weitreichende Kommunikationskanäle seit jeher konfrontiert ist. Und seit der frühen Neuzeit ist die Residenz- bzw. Bundeshauptstadt Wien ein Magnet für hoch qualifizierte und ambitionierte junge Menschen aus Vorarlberg. Heute leben in Wien etwa 25.000 Menschen, die in Vorarlberg geboren wurden. Der überwiegende Teil mit einer akademischen Ausbildung. Dieser Aderlass an sozialem Kapital und wissenschaftlicher Expertise, bleibt nicht ohne nachteilige Auswirkungen auf das Innovationspotential des Abgeberlandes. Neben Wien finden sich aber immer wieder Städte und Institutionen, die zu bestimmten Zeiten und für bestimmte Interessen besonders anziehend sind und waren. So zog es etwa die Schlinser Brüder Bartholomäus (1487-1551) und Johannes Bernhardi (1490-1534) zu Beginn des 16. Jahrhunderts nach Wittenberg, nachdem hier ein gewisser Dr. Martin Luther im ganzen Reich für Aufsehen und Interesse gesorgt hatte. Beide wurden zu seinen Anhängern und Vertrauten und bekleideten als Theologe bzw. als Physiker akademische Positionen. Nach der Gegenreformation und dem Ausbau der Habsburgermacht war aber Wien wieder das hauptsächliche Anziehungsziel. So auch für die Bildhauerfamilie Moll aus Ludesch. Balthasar Moll (1717-1785) wuchs über die Bedeutung seines Vaters und seiner Brüder hinaus, brachte es zum Professor an der Akademie der Bildenden Künste und war einer der künstlerischen Favoriten der Kaiserin Maria Theresia. Unter anderen ehrenvollen Aufträgen wurde er mit der Schaffung des Prunksarkophags für das Kaiserpaar in der Kapuzinergruft betraut. Mit dem Kaiserhaus in Berührung kam auch der in Thüringen geborene Arzt Gabriel Ludwig Seeger (1831 – 1893) als Gymnastiktrainer von Kaiserin Elisabeth. Vor seinem Umzug nach Wien hatte er sich in Vorarlberg einen Namen als Mundartdichter „Seeger an der Lutz“ gemacht. Akademische Karrieren außerhalb Wiens machten der Mathematiker Luzius Hanni (1875-1931) aus Göfis und der Sprachwissenschafter Leo Jutz (1889-1962) aus Frastanz als Professoren an der Universität Graz und der Satteinser Theologe Martin Scherer (1786-1865) wurde vom Kaiser zum ersten Bibliotheksdirektor der Innsbrucker Universitätsbibliothek bestellt. Gegenwärtig spielen Christof Moser und Rainer Honek, beide aus Nenzing, im Wiener Musikleben wichtige Rollen, während Manfred Honek über Österreich hinaus als Dirigent reüssiert. Stellvertretend für weitere Wissensschafterinnen und Wissenschafter seien die aus Bludesch stammende Professorin für Pharmakognosie Judith Maria Hartmann-Rollinger und die Vizerektorin der Med-Uni Wien Michaela Fritz aus Nüziders erwähnt. All diese Bildungsabwanderer:innen bedeuten für Vorarlberg und den Walgau einen erheblichen Verlust an Intelligenz, Kompetenz und Kunstfertigkeit in Vergangenheit und Gegenwart.