Verschiedene Krisen

In der ersten Industrialisierungsphase konnten von den Vorarlberger Unternehmern sehr große Gewinne erzielt werden. Das war auch ein Grund dafür, dass die Textilindustrie die verschiedenen späteren Krisen überlebte. Es gab politische Krisen, deren Auswirkungen auch im Walgau zu spüren waren, wie das Revolutionsjahr 1848 oder der Amerikanische Bürgerkrieg 1861–1865, durch den die Baumwolllieferungen ausblieben und der die Preise des Rohstoffs um 300 % ansteigen ließ. Weiters ging durch den Verlust der Lombardei 1859 und Venetiens 1866 an Italien ein wichtiger Absatzmarkt verloren. Während des Amerikanischen Bürgerkriegs bekam beispielsweise die Gemeinde Nenzing ihre einseitige Abhängigkeit von der Baumwollindustrie hart zu spüren. Die Spinnerei stand für zwei Jahre still, an die 170 Personen waren ohne Arbeit – eine soziale Katastrophe für das Dorf.

Im Ersten Weltkrieg kam die Textilindustrie für kurze Zeit ganz zum Erliegen, weil Europa von den Baumwolllieferanten in Übersee abgeschnitten war. In der wirtschaftlich und politisch instabilen Zwischenkriegszeit wurden die Belegschaften der Unternehmen teils stark reduziert. Eine Gegenstrategie verschiedener Unternehmen bestand in der verstärkten Modernisierung des Maschinenparks.1

Der Zweite Weltkrieg brachte im Gegensatz zum Ersten anfangs durch die kriegswirtschaftlichen Aufträge und den neuen riesigen Binnenmarkt des Dritten Reichs einen Aufschwung im gesamten Textilsektor. Mit fortschreitender Kriegsdauer wurden aber zahlreiche deutsche Rüstungsunternehmen freiwillig oder zwangsweise in den Vorarlberger Fabrikshallen untergebracht, und die Textilmaschinen mussten teilweise Maschinen für die Rüstungsindustrie weichen. Es kann davon ausgegangen werden, dass fast jeder größere Industriebetrieb Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen beschäftigte. Diese wurden entweder unter Aufsicht des Unternehmens am Fabriksgelände untergebracht oder in zentralen Lagern, wie zum Beispiel in der Lünerseefabrik in Bürs.

Einschneidend waren im 19. Jahrhundert auch die Krisen durch Naturgewalten. Fast jede Fabrik im Walgau erlebte einmal eine Brandkatastrophe. In der Folge entstanden Betriebsfeuerwehren, Versicherungen forderten Schutzmaßnahmen wie Sprinkleranlagen und Wassertürme.

Auch die regelmäßig wiederkehrenden Hochwasserkatastrophen führten zu Betriebsausfällen. So wurden 1910 zahlreiche Anlagen, Wasserbauten und Kraftwerke entlang der Ill von Schruns bis Feldkirch zerstört und mussten völlig neu aufgebaut werden.

Was Krisenzeiten regelmäßig mit sich brachten, waren große Arbeitslosigkeit und Elend in den Industriedörfern. Nach dem Konjunktureinbruch durch den Börsenkrach 1873 kehrten zahlreiche Menschen wieder zurück in die Landwirtschaft. In manchen Ortschaften kam es in schlechten Zeiten zu regelrechten Auswanderungswellen nach Übersee. Auch der Niedergang der Heimindustrie durch die Mechanisierung Ende des 19. Jahrhunderts veranlasste zahlreiche Betroffene zur Emigration.

Ein letzter massiver Einschnitt war der ab den 1980er-Jahren beginnende massive Umstrukturierungsprozess der gesamten Vorarlberger Wirtschaft, der gekennzeichnet war durch Rationalisierungen, Produktionsverlagerungen, aber auch durch Betriebsschließungen in der Leitbranche Textilindustrie. Der Wandel führte zu einer vielseitigen Industriestruktur mit einem breiten Branchen- und Technologiemix , wobei der Schwerpunkt auf der Metall- und Elektrobranche lag.2

  • 1. Christoph Volaucnik: Vorarlberg, in: Stender, Detlef (Hg.): Industriekultur am Bodensee, Konstanz 1992, S.199
  • 2. Christian Feurstein: Wirtschaftsgeschichte Vorarlbergs, von 1870 bis zur Jahrtausendwende, Konstanz 2009, S. 199f