Rund um die Fabriken

Rund um die Fabriken entstanden in den Dörfern auch neue, informelle Orte des sozialen Lebens. Zum Beispiel die Wege, die viele Menschen täglich gleichzeitig in und vom Arbeitsplatz zu Fuß gingen. (Das Fahrrad wurde erst ab Mitte des 20. Jahrhunderts zum allgemeinen Verkehrsmittel.) Die Fabriksglocken, später Sirenen, strukturierten die Zeit und waren im ganzen Dorf hörbar. Ab dem Zweiten Weltkrieg wurde die Arbeiterschaft mobiler – einige Unternehmen richteten auch einen Werksverkehr ein, der das Arbeiten außerhalb des eigenen Dorfs einfacher machte.
 
Die Fabriksareale selbst waren in den Dörfern und Städten oft abgeschlossene Zonen, die nur über die Haupteinfahrt und mit Erlaubnis des Portiers zugänglich waren (wie es bei heutigen Industriebetrieben noch immer der Fall ist).

Unvorstellbar sind die Zeiten, in denen Arbeiterinnen und Arbeiter an der Pforte stichprobenartig  überprüft wurden, damit keine Stoffe aus der Fabrik entwendet wurden.

Ein weiterer sozialer Treffpunkt in den Industrieorten waren die Lebensmittelgeschäfte für Arbeiter. Es gab gemeinschaftliche Projekte wie die Konsumgenossenschaften, aber auch (so wie heute noch) kleine Läden von Einwanderern für Einwanderer, in denen diese in der eigenen Muttersprache einkaufen konnten.

Dank der in Vorarlberg überall gängigen Praxis, dass Unternehmer nicht nur Wohnraum, sondern auch Boden für Nutzgärten zur Verfügung stellten, entstanden innerhalb der Ortschaften oft ausgedehnte Gartenflächen, die auch zu Orten des sozialen Lebens und Austausches wurden. Diese Gartenpraxis rund um die Industrieanlagen und Arbeiterwohnsiedlungen war bis Ende des 20. Jahrhunderts üblich. Durch die Privatisierung der Wohnanlagen bzw. Individualisierung der Bewohner verschwanden diese ehemaligen Sozialräume zusehends.