Industrielandschaft Walgau

Im Walgau gibt es Fabriksbauten aus unterschiedlichen Abschnitten der Industrialisierung.  Ab 1830 wurden schlichte, schmucklos monumentale Hochbauten nach englischem Vorbild errichtet.1 Oft entwarfen die Besitzer ihre Fabrik gemeinsam mit den Herstellern der Textilmaschinen. Die noch existierende Lünerseefabrik in Bürs, die Obere Ganahlfabrik in Frastanz oder die Fabrik in Satteins zählen zu diesem Bautyp.

Von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis ungefähr 1920 sind im Fabriksbau zwei Richtungen erkennbar: einfache Zweckbauten und sogenannte Industrieschlösser. Eine interessante Entwicklung war, dass sich ab 1900 auch Architekten für die Bauaufgabe Fabrik zu interessieren begannen. Die Fabriksanlagen wurden zunehmend horizontal und einstöckig geplant, was mit der Veränderung der Antriebstechnik und der internen Produktionsabläufe zu tun hatte. Ein schönes Beispiel aus diesem Zeitabschnitt ist die 1886 nach englischem Vorbild geplante Spinnerei Klarenbrunn von Getzner, Mutter & Cie  in Bludenz. Sie wurde von J. Felber & Co. aus Manchester projektiert. Das Ensemble aus Wasserstube, Dampfkrafthaus und Arbeiterwohnhäusern steht  unter Denkmalschutz und ist eines der herausragenden Beispiele historischer Fabriksarchitektur in Vorarlberg.

Aus der Zwischenkriegszeit gibt es im Walgau zwei seltene Beispiele der frühen Moderne. Die Weberei des Wollstoffproduzenten Lorünser in Nüziders und die Neue Weberei der Firma Rudolf Kastner in Thüringen zeigen die damals neue, funktionale Formensprache.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde eher selten konsequent modern und ambitioniert gestaltete Industriearchitektur entworfen. Häufiger entstanden Bauten, bei denen ein „Rückzug auf rein technische Aspekte“ stattfand.

Die Bauweise von Fabriken hatte zu allen Zeiten mit dem aktuellen Stand der Maschinentechnik zu tun. Ein Fabriksgebäude war und ist bis heute in erster Linie ein Funktionsbau, der sich den wirtschaftlichen Bedürfnissen anzupassen hat. Unternehmen mussten permanent neu investieren, umbauen, anbauen oder neu bauen. Auch Nebengebäude, wie Schlossereien, Tischlereien, Verwaltungsgebäude, Lagerhäuser, Pferdeställe und Wagenremisen waren davon betroffen. Die meisten größeren Industriebetriebe besaßen dafür eigene Ingenieurbüros, Bauabteilungen und sogenannte Hausarchitekten. Um das Baumaterial nicht zukaufen zu müssen, erwarben die Unternehmen auch Waldbesitz oder Steinbrüche.

Meist gleichzeitig mit den ersten Fabriksbauten entstanden Wasserbauten und Kraftwerke. Kanäle, offene Wasserrinnen aus Holz oder aus Mauerwerk, Weiher, Staubecken, Wehre etc., die das Wasser zur Fabrik leiteten und als Speicher dienten. Der Hauptzweck aller Wasserbauvorhaben war die Sicherstellung einer ausreichenden Wassermenge und die Steigerung der Produktionskapazität. Oft wurden mehrere Bäche oder Flüsse gleichzeitig genutzt. Die im Laufe des 19. Jahrhunderts entstandenen Kanalbauten, z. B. in Nenzing und Frastanz, wurden später allerdings aufgrund technischer Neuerungen nicht mehr gebraucht und darum abgetragen, zugeschüttet oder verrohrt.

Eine Besonderheit in Vorarlberg war die Errichtung von Wasserbecken in Hanglage oberhalb der Fabriken. Der künstliche Charakter der Teiche und Weiher ist allerdings im öffentlichen Bewusstsein in Vergessenheit geraten, meist werden sie heute als natürliche Gewässer wahrgenommen, wie z. B. die Montiola-Weiher oberhalb von Thüringen.

Die Fabriksbauten des 19. Jahrhunderts waren nicht zu übersehen. Historische Aufnahmen der Walgauer Dörfer zeigen die ersten alleinstehenden Fabriken, mit ihren Schloten, Hänge- und Trockentürmen (von denen heute leider keiner mehr vorhanden ist) als auffällige Baukörper. Im ländlichen Industriegebiet Walgau waren der Arbeiterwohnbau wie auch die Villenbauten der Fabrikanten nicht so prägend wie in städtischen Ballungszentren. Von einem Fabrikantenviertel kann ansatzweise in Bludenz entlang der Werdenbergerstraße gesprochen werden. Als systematisch angelegtes Arbeiterviertel gab es nur das „Welsche Viertel“ in Bludenz.

Mit dem Umstrukturierungsprozess der Vorarlberger Wirtschaft in den 1990er-Jahren begannen sich Eigentümer der Fabriksareale und Gemeinden mit Themen wie Revitalisierung, Um- und Nachnutzung auseinandersetzen. Dieser Prozess ist auch noch nicht abgeschlossen. Mit Kapitaleinsatz der Besitzer oder von heimischen Investoren, mit Landes- und Bundesförderungen, aber auch EU-Geldern wurden in der Folge etliche neue Lebens- und Arbeitsräume in historischen Industriearealen geschaffen.

Diese Kulturstätten, Gewerbe- und Wohnparks sind heute fixer Bestandteil der Vorarlberger Stadt- und Dorflandschaften, ehemals abgeschlossene Zonen wurden in öffentliche Orte verwandelt.  Ein aktuelles Beispiel einer postindustriellen Nachnutzung ist die Fabrik Klarenbrunn, die bis 2015 industriell genutzt wurde, heute beherbergt sie mehrere Sozialunternehmen der Caritas Vorarlberg und private Firmen.

  • 1. Volaucnik: Vorarlberg, S. 197