Erste Fabriken und ihre Gründer

„Vorarlberg war im 19. Jahrhundert in gewisser Weise ein ‚Land der unbegrenzten Möglichkeiten im Kleinformat‘.“ 1

Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts wurden in fast allen Walgauer Gemeinden Textilfabriken gebaut. Die erste mechanische Spinnerei im Walgau (und die zweite in Vorarlberg) wurde 1820 in Bludenz unter dem Namen Ganahl & Comp. gemeinsam von Getzner, Mutter & Cie und dem St. Galler C. Daller-Fels errichtet. Dominierende Industriezweige im Land waren die Baumwollspinnerei sowie die Färberei und Druckerei. Durch die Mechanisierung der Spinnerei und später der Weberei begann die moderne Massenproduktion.

Steht man vor einer historischen Industrieanlage, stellt sich unwillkürlich die Frage nach den Akteuren: Wer hat die Fabrik errichten lassen? Wer hat in der Fabrik gearbeitet?

Die Gründerpersönlichkeiten aus den Familien Ganahl, Getzner, Mutter und Gassner waren vielfach „Selfmademen“. Sie brachten es durch Unternehmergeist, aber auch durch finanziell und gesellschaftlich vorteilhafte Heiraten innerhalb einer Generation aus kleinen Verhältnissen zu Fabriksbesitzern. Die Gesellschaft war gegenüber Aufstiegswilligen eindeutig durchlässiger als andere, feudal geprägte Regionen der k.u.k. Monarchie.

Zu den ersten selbständigen (nicht von der bereits früher industrialisierten Schweiz abhängigen) Textilmanufakturgründungen war es Ende des 18. Jahrhunderts gekommen. Für den Walgau von Bedeutung waren zwischen 1790 und 1800 der Baumwollhändler Peter Josef Leone und der aus dem Montafon stammende, in Feldkirch angesiedelte Handelsmann Johann Josef Ganahl. Etwas später begann der Bauernsohn Christian Getzner aus Satteins, ein Mitgründer des späteren Textilunternehmens Getzner, Mutter & Cie., als Lehrling bei Ganahl. Sie waren alle zu Beginn Verleger, kauften und handelten mit Baumwolle und beschäftigten im Walgau zum Teil Hunderte Heimarbeiterfamilien mit Spinn- und Webaufträgen.

Unter den ersten Gründern waren im Walgau aber auch Ausländer, sie brachten Kapital und Know-how mit.2 Unter ihnen die Glarner Johann Peter Elmer, Johann Kaspar Zweifel und Mathias Schlittler, die 1836 den Standort Satteins für die Rotfärberei und Druckerei „entdeckten“. Oder die schottische Familie Douglass, Peter Kennedy aus England und die Schweizer Caspar und Albert Escher, die in Thüringen ihre Spinnerei und Weberei errichteten, nachdem sie 1827 in der Feldkircher Au die damals größte Spinnerei Vorarlbergs gebaut hatten. Für die Kinder dieser ersten Industriepioniere war es schon mehr oder weniger Standard, ihr „Handwerk“ bei Schweizer, französischen oder englischen Textilbetrieben oder Maschinenbauunternehmen zu erlernen.3

Als neue, selbstbewusste gesellschaftliche Gruppe beanspruchten die Unternehmer vor allem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein Mitspracherecht in der Gemeinde- und Kulturpolitik, hatten hohe Ämter inne, nahmen zusehends Einfluss auf die öffentliche Meinung und schafften sich auch eigene Organisationen und Interessensvertretungen. Die liberale Wirtschaftspolitik führte auf Initiative Carl Ganahls im Jahr 1850 zur Gründung der ersten Handels- und Gewerbekammer in Feldkirch.

Nicht vergessen werden darf, dass im 19. Jahrhundert neben den Familien, die über Jahrzehnte aktiv waren, unzählige kleinere Unternehmen existierten und wieder verschwanden – Spinnereien, Bandwebereien, Zwirnereien, Stickereien, Seifensiedereien, Papierfabriken usw.
    

 

  • 1. Christoph Vallaster: Industrielle Revolution, in: Vorarlberger Wirtschaftschronik, Wien 1993, I/41
  • 2. Christian Feurstein: Wirtschaftsgeschichte Vorarlbergs, von 1870 bis zur Jahrtausendwende, Konstanz 2009, S. 14
  • 3. Gerhard Wanner: Vorarlbergs Industriegeschichte, Feldkirch 1990, S. 296 und Hubert Weitensfelder: Industrieprovinz, Vorarlberg in der Frühindustrialisierung 1740-1870, Frankfurt a. Main 2001, S. 469ff